Urbanes Wandern vs. Stadtführung?

Urbanes Wandern und Stadtführung – zwei Bezeichnungen, die das Selbe meinen? Gibt es Gemeinsamkeiten und worin unterscheiden sich beide Leistungen?

Beginnen wir mit der Stadtführung. Dabei steht meist ein geografisch eng begrenzter Raum und eine Zeitdauer von 1- 2 Stunden im Vordergrund. Die Fortbewegung zu Fuß ist wenig anspruchsvoll und wird gern durch mehr oder weniger lange Stehpausen geprägt. Typische Merkmale sind thematische, häufig humorvoll präsentierte Vorträge über historische Persönlichkeiten, Anekdoten, stadttypische oder kulturelle Themen am Beispiel von Bauwerken, Skulpturen, Denkmälern oder Stadtteilen. Sachkundige, historisch und rhetorisch geschulte Guides – je nach Thema oft auch verkleidet – schlüpfen in Rollen, um das Stadterlebnis zu vertiefen. Die Gruppengröße variiert von wenigen Einzelinteressenten (m/w/d) bis hin zu sehr groß in Form Busreisegruppen.

Urbanes Wandern verfolgt einen anderen Ansatz. Auch hier führt ein Guide (m/w/d) eine Gruppe, jedoch typischerweise in einer als angenehm empfundenen Fortbewegung über 10- 15 km und einer Dauer von 4- 6 Stunden inklusive Pausen durch den Stadtdschungel und die urbane Landschaft. Die Gruppengröße ist in der Regel auf 15 geführte Personen pro Guide begrenzt. Bei größeren Gruppen leidet erfahrungsgemäß die Erlebnisqualität und die Eintrittswahrscheinlichkeit für unvorhersehbare Risiken steigt. Grundsätzlich sind jedoch auch größere Gruppen möglich, wenn ein weiterer Guide (m/w/d) beteiligt wird.

Auch das urbane Wandern kennt thematische Touren, z.B. grenzüberschreitend durch stadtnahe Wälder und Naturschutzgebiete, zu historischen Orten und Landmarken. Gute Guides führen konsequent auf Basis eines dramaturgischen Spannungsbogens vom Start zum Ziel der Tour. Die An- und Abreise erfolgt in der Regel mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder in Fahrgemeinschaften. Teilnehmende können sich darauf verlassen, dass sich der Guide um die erlebnisreichste Route, optimale Verkehrsverbindungen, günstige Gruppentickets, Pausenplätze, Einkehrmöglichkeiten und 1. Hilfe für Personen und abgelöste Schuhsohlen kümmert.

Ein guter Guide hat immer einen Plan B parat, ein exzellenter auch einen Plan C. Der Guide ist Wanderführer, Organisator, Kümmerer, Erlebnisgestalter und Entertainer in einer Person- mindestens. Er ist gut ausgebildet und zertifiziert, bildet sich regelmäßig fort, ist selbstverständlich haftpflichtversichert und kann Referenzen und Danksagungen vorweisen.

Vom neuen, urbanen Wandern

Warum urbanes Wandern und was ist das eigentlich? Soviel vorab: Eine einheitliche und verbindliche Definition gibt es nicht. Der Begriff ist weder national noch international markenrechtlich geschützt und auch nicht durch Rechtsvorschriften bestimmt. Er kann also frei interpretiert werden.

Für den Begriff „Urban“ enthält die freie Enzyklopädie Wikipedia die knappe Beschreibung als „urbaner Raum = städtisches Siedlungsgebiet„. Man kann ihn auch als eine städtische oder stadtnahe Landschaft interpretieren. Städte entwickelten sich nicht nur als menschliche Siedlungsräume, sondern auch als Teile der Landschaft, in die sie eingebettet sind. Gemeinsam mit ihrem Umland bieten sie damit eine hervorragende Möglichkeit der wohnortnahen Erholung und Bildung für die Bevölkerung und ihre Gäste. In diesem Sinne sind urbane Räume auch Erholungsräume und Lernorte.

Der Begriff „Wandern“ ist ebenfalls nicht verbindlich definiert. Es gibt aber zahlreiche Interpretationen. Allein Wikipedia zählt aktuell mehr als ein Dutzend verschiedene Formen des Wanderns auf. Urbanes Wandern gehört bisher nicht dazu, obwohl es bereits vielfältig praktiziert wird.

Das Konzept des urbanen Wanderns hat viele Vorteile. Urbane Räume sind meist gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln erschlossen und damit schnell, preiswert – Stichwort: Deutschlandticket – und ökologisch nachhaltig erreichbar. Sie bieten der Wohnbevölkerung niedrigschwellige Möglichkeiten der Naherholung für kleines Geld und die Chance, ihre heimatliche Umgebung näher kennenzulernen. Urbanes Wandern ist zugleich ein Angebot für nachhaltigen Tourismus abseits überlaufener und übernutzter Hotspots des Massentourismus. Und es ist auch eine moderne Form des sozialen Wanderns: Menschen aus verschiedenen Regionen, die sich sonst vielleicht niemals begegnen würden, können gemeinsam auf Tour gehen, sich über „Gott und die Welt“ austauschen und aufeinander neugierig machen. Im Idealfall trägt urbanes Wandern also auch zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei.

Ich praktiziere urbanes Wandern bereits seit 2009, habe es aber nie so genannt. In jenem Jahr wurde ich als Natur- und Landschaftsführer für Dresden und das Umland zertifiziert. Was zäh begann, ist inzwischen ein Selbstläufer geworden. Offenbar hat das Interesse vieler Menschen an geführten Wanderungen auch außerhalb von Naturschutzgebieten und abseits sogenannter Qualitätswanderwege zugenommen. Die Teilnehmerzahlen bei Wanderungen durch die Erlebnisregion Dresden, aber auch in der Umgebung tschechischer Städte wie z.B. Teplice (deutsch: Teplitz), Usti nad Labem (deutsch: Aussig an der Elbe), Děčín (deutsch: Tetschen) oder Litoměřice (deutsch: Leitmeritz) belegen das gewachsene Interesse an urbanen Wanderungen. Erst am Wochenende wurde ich gefragt, ob ich nicht auch mal eine mehrtägige Wanderung in Prag und Umgebung oder in der Region Berlin und Potsdam ausschreiben könnte. Als ich erwähnte, kürzlich in Brüssel gewesen zu sein, wurden die Augen noch größer. Das Thema hat also viel Potential und die Motivation stimmt auch. Lasst uns also das neue Wanderprojekt „Urbanes Wandern“ starten!